Erwachsenes vs. Kindliches Alleinsein

Erwachsenes Alleinsein bedeutet, dass du dir der Tatsache bewusst wirst und sie akzeptierst, dass du eine eigenständige Persönlichkeit bist – mit deiner eigenen Individualität, deinen Grenzen, Gefühlen und Bedürfnissen. Und dass andere Menschen ebenfalls eigenständige Persönlichkeiten sind. Unsere Gefühle und Bedürfnisse stimmen oft nicht überein – manchmal tun sie es, manchmal nicht. Und du kannst diese Unterschiede und die Konfliktpotenziale, die daraus entstehen, aushalten. In diesem erwachsenen Alleinsein liegt eine große Freiheit und ein Raum, du selbst zu sein – und anderen zu erlauben, sie selbst zu sein. Und das ist, so paradox es auch klingen mag, die Grundlage für echte Nähe.

 

Kindliches Alleinsein hingegen ist vielmehr ein Gefühl des Verlassenseins, der Orientierungslosigkeit und des Verlorenseins. Es ist das Empfinden, ganz allein im Universum zu sein. Es ist mit Leid verbunden und mit der Unfähigkeit, die Tatsache auszuhalten, dass wir eigenständige Wesen sind – und dass unsere Bedürfnisse und Gefühle sich von denen anderer unterscheiden können. Dieses Erleben geht mit einer tiefen, manchmal unerträglichen Schmerzen, Angst, Leere und Sinnlosigkeit einher. Und mit der Vorstellung, dass wir Bestätigung von außen brauchen, um uns und unsere Gefühle und Bedürfnisse als „in Ordnung“ empfinden zu können. Im Kindlichen Bewusstsein glauben wir fest daran, dass wir von anderen Menschen und deren Reaktionen auf uns abhängig sind.

 

Kindliches (oft auch erzwungenes) Alleinsein kann auch mit der Idee verbunden sein: „Ich brauche niemanden. Ich komme alleine zurecht.“ Doch auch das ist eher eine Strategie der Vermeidung von Nähe, weil Nähe als unerträglich empfunden wird.

 

Je mehr wir unsere kindlichen Wunden heilen, desto einsamer werden wir – sogar (oder gerade) in Beziehungen. Aber es ist nicht das schmerzhafte Alleinsein des Verlassenseins, sondern vielmehr das bewusste Erleben der eigenen Eigenständigkeit und wahren Unabhängigkeit vom anderen. Kindliches Alleinsein ist mit Leere und einem inneren Vakuum verbunden, erwachsenes Alleinsein hingegen mit innerer Fülle und Stille.

 

Das ist wahre Separation. Separation bedeutet nicht nur die Loslösung von den Eltern und den alten Bindungsmustern, sondern auch von der kindlichen Vorstellung, mit jemand anderem verschmelzen zu müssen, um sich ganz zu fühlen. Es ist die Loslösung von der Idee, man müsse sich erst verändern oder anpassen, damit man geliebt wird. Es ist die Loslösung von der Vergangenheit. 

Und es ist das Finden einer eigenen Ganzheit, die nicht vom anderen abhängt. Du wirst erfüllt von dir selbst. Und aus dieser inneren Fülle heraus bekommt die Begegnung mit einem anderen Menschen eine völlig neue Qualität.

 

Erst wenn wir unsere Eigenständigkeit auf der Ebene der Individualität wirklich erkennen, können wir auch sensibler für das werden, was uns verbindet – für diese feine, ununterbrochene Verbindung, die immer da ist und die unabhängig ist von unseren Strategien, Ängsten, Bemühungen und Unterschieden. In dieser Verbindung gibt es Raum, in dem alles Platz hat. Du. Ich. Und das, was zwischen uns lebendig ist.

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